6 Monate bis zum Tag X

Wenn wir für einen Athleten die Trainingsplanung neu übernehmen, bedeutet das immer auch eine gewisse Ungewissheit, sprich, wir müssen uns in erster Linie mal mit ihm als Sportler befassen. Wie viel hat er bereits trainiert, was ist zumutbar, was verträgt er? Einen fixfertigen Standardplan gibt es nicht.

Im Dezember 2018 erhielten wir die Anfrage des Langdistanztriathleten Markus Huber (55), welcher sich mit der besagten Vision „Ironman Hawaii 2019“ an uns wendete. Mit 3.8km Schwimmen, 180km Radfahren und dem abschliessenden Marathon stellt ein Ironman innerhalb des Ausdauersports etwas vom härtesten und anspruchsvollsten dar, was es gibt. Markus wollte die besagte Qualifikation in der Kategorie M55 erreichen und hatte sich als Qualifikationswettkampf den Ironman Cork in Irland ausgesucht. Dort musste er am 23. Juni 2019 unter die besten zwei seiner Kategorie laufen, was in Anbetracht der 124 gemeldeten Athleten innerhalb der M55-59 einer wahren Herkulesaufgabe gleichkam.

Bevor man sich auf den Weg in Richtung Zielerreichung macht, müssen die Leistungswerte erfasst werden. Es soll ja schliesslich das „Richtige“ trainiert werden…

Wir wollten die Herausforderung annehmen und starteten das Unterfangen mit der standesgemässen Leistungsdiagnostik. Dadurch erhielten wir ein gutes Stärke-/Schwäche-Profil von Markus, anhand welchem wir uns an die Trainings herantasteten.

Das Vorgehen war in diesem Sinne gegeben: Wir wollten bis im März 2019 die Leistungswerte auf das in dieser Zeit mögliche Maximum pushen (Erhöhung VO2max und der damit verbundenen Schwellenleistung), um primär in einem zweiten Schritt an der Umsetzung dieser Leistung (Senkung der VLamax bzw. des Kohlenhydratverbrauchs) zu arbeiten. Oder vereinfacht gesagt: Zuerst den Motor vergrössern und ihn danach effizient bzw. ökonomisch machen.

Der polarisierte Ansatz fand hier in der ersten Phase weitestgehend seinen Einsatz. Das bedeutet: entweder hochintensiv oder oberlocker. Gerade das sehr lockere Training ist für die meisten Athleten eine Herausforderung, da man gefühlsmässig wenig bis gar nicht trainiert.

Da Markus ein erfahrener Athlet ist, der seine Grenzen gut kennt, muteten wir ihm bald auch intensive bis hochintensive Einheiten zu und investierten auch in seine lauftechnischen Fähigkeiten. Die einsätzigen Krafteinheiten rundeten das Programm ab. Der Stundenaufwand betrug zu diesem Zeitpunkt zwischen 10 – 12 Stunden pro Woche. Die Devise ist aus unserer Sicht ganz klar: Mehr ist nicht immer mehr! Vielmehr wollten wir die Qualität der Einheiten hoch halten.

Mit dem Onlinetrainingstool AZUM hatten wir dabei die ideale Voraussetzung um das Training von Markus zu gestalten, monitoren und uns fortlaufend mit ihm auszutauschen. Schliesslich wird das Training vom Athleten nicht immer so empfunden, wie es vom Trainer geplant wurde.

Ergänzend absolvierte Markus auch noch ein Bikefitting bei unserem Partner MY Sport in Zürich.


Frage an Markus: Was war für dich von Beginn weg neu in Bezug auf das Training?

Die Trainingsbegleitung durch einen persönlichen Coach ist neu für mich, bis jetzt hatte ich mit Onlinetrainingsplänen gearbeitet. Nach der Standortbestimmung mittels einer Leistungsdiagnostik wurde gemeinsam mit Michael Pfanner die Saisonziele und der Trainingsumfang besprochen und festgelegt. Die individuell auf meine Bedürfnisse abgestimmten Trainingspläne gaben mir von Anfang an eine klare Trainingsstruktur.


Drei Monate bis zur Qualifikation

Bevor wir den Saisonstart in Angriff nahmen, wollten wir natürlich sehen, wie sich die Trainingsinterventionen ausgewirkt haben. Im Folgenden zwei typische Trainingsbeispiele des polarisierten Prinzips.

(Hoch)intensive Einheit:

2-3 Serien à 8 Minuten 40‘‘/20‘‘ auf dem Velo

Lockere Einheit:

90 Minuten gemütlicher Dauerlauf mit lockeren Steigerungsläufen

Um ein möglichst gutes Laufmuster zu entwickeln, koppelten wir die Läufe immer an technische Übungen und beschränkten uns bei den Longjogs auf eine Dauer von knapp über 2 Stunden. Hingegen waren 2 Trainings pro Tag am Wochenende keine Seltenheit. Die Schwimmtrainings wurden durch geleitete Einheiten innerhalb seines Triathlonklubs super abgedeckt.

Die Laufökonomie im Sinne der Technik schulten wir mit gezielten Übungen.

Die Entwicklung innerhalb dieser knapp 3 Monate war hocherfreulich und zeigte deutlich auf, dass der erhoffte Leistungsfortschritt stattfand. Als Vergleich dazu die Schwellenwerte vom Dezember 2018 und vom März 2019.

Laufen

4:45min/km (Dezember 2018) –>  4:30min/km (März 2019)

Rad

257 Watt (Dezember 2018) –> 277 Watt (März 2019)

Enorm wichtig erschien uns auch die Entwicklung einer regelmässigen Renngestaltung. Da Markus in der Vergangenheit an Wettkämpfen auch immer wieder mit physischen Einbrüchen konfrontiert wurde, absolvierten wir gewisse Einheiten mit der Aufgabe, sich nicht an der Uhr oder Pace zu orientieren, sondern nur auf das Körpergefühl zu achten.


Frage an Markus: Mit was für einem Gefühl nahmst du die Saison in Angriff?

Ich hatte ein klares Ziel: die Qualifikation für die Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii. Ich wusste, dass für dieses Ziel am Wettkampf in Cork (Irland) alles stimmen muss. Die Leistungsfähigkeit, die Bereitschaft zu leiden (mental) und die Renntaktik mussten optimal vorbereitet sein. Es war klar, dass ich hart und viel trainieren muss.   


Einen Monat bis zur Qualifikation

Nachdem wir uns in den ersten Wettkämpfen im Frühjahr immer wieder mit muskulären Schwierigkeiten herumschlagen mussten, pulverisierte Markus am Bantigertriathlon seine Bestzeit aus dem letzten Jahr und gewann seine Altersklasse überlegen. Gleichzeitig war damit auch die Gewissheit da, dass die Form stimmt und die Vorbereitungen für das Qualifikationsrennen für den Ironman in Cork auf einem guten Weg waren.

Der Weg scheint zu passen: Der Erfolg am Bantigertriathlon 2019 zeigte, dass der Fahrplan in Richtung Cork stimmt.

Frage an Markus: Hat dein Sieg am Bantiger-Triathlon mental etwas bewirkt?

Meinen Titel vom letzten Jahr zu verteidigen war schön. Dass ich dies aber mit einer persönlichen Bestzeit erreichte, gab mir die Sicherheit auf dem richtigen Weg zu sein.


Eine Woche bis zur Qualifikation

Bis gut drei Wochen vor dem Ironman Cork trainierten wir in einem hohen Umfang, jedoch sehr spezifisch. Hohen Intensitäten wurden nur noch vereinzelt eingebaut, vielmehr lag der Fokus auf dem Pacing und der Renngestaltung.

Da das Velo die stärkste Disziplin von Markus ist und notabene vorentscheidend ist für die abschliessende Marathonstrecke, mussten wir dort gut zwischen zu viel und zu wenig dosieren. Sprich auch hier versuchten wir Wattmesser und das subjektive Gefühl miteinander zu verbinden.

Durch die vorliegenden Daten aus der Leistungsdiagnostik und dem Auswertungstool von INSCYD konnten wir die Wettkampfpace ziemlich präzise beim maximalen Kohlenhydratinput von 90g/Stunde festlegen. Um den leistungsmässigen Output ernährungstechnisch korrekt zu decken, definierten wir einen genauen Ernährungsfahrplan für das Rennen. Die Glykogenspeicher sind durch das vorangehende 2tägige Carboloading ohnehin gefüllt und helfen bei der Bedarfsdeckung ebenfalls. Ein Überpacen wollten wir unbedingt vermeiden – Regelmässigkeit und Konstanz war die Devise!

Aus dem Triathlon wird ein Duathlon

Der Wetterbericht meldete es bereits im Vorfeld: das Wetter könnte der kritische Punkt werden. Aufgrund der am Vortag vor dem Wettkampf angekündeten Windböen von 60km/h entschieden wir uns ultrakurzfristig auf das Scheibenrad zu verzichten und „nur“ mit den Hochprofilfelgen zu fahren.

Triathlonwetter sieht anders aus. Gerade in eher mühsamen Momenten kommt nebst der physischen Stärke auch der mentalen Einstellung eine grosse Wichtigkeit zu.

Am Morgen des Starts selber trat dann tatsächlich die vermutete Befürchtung ein: das Schwimmen wurde aufgrund des miserablen Wetter gestrichen und so wurde aus dem geplanten Ironman kurzerhand ein Powerman (quasi die Duathlon-Form).

Die Athleten wurden gestaffelt und nach einer Wartezeit von über drei Stunden bei 12 Grad, Wind und Regen auf die 180km lange Radstrecke geschickt, was einen direkten Vergleich unter den Athleten damit verunmöglichte. Markus war insofern voll und ganz auf sich alleine gestellt und musste auf das geplante Pacing vertrauen.

Nach und nach setzten sich vorneweg ein Österreicher und ein Kanadier ab, während sich Markus solide auf dem 3. Rang festbiss und dabei seinen Rücken freihalten konnte. Nachdem er in einer Steigung nach ca. 70km stürzte und kurz darauf das Wattmessgerät den Geist aufgab, konnte er sich fortan nur noch auf sein Körpergefühl und seine Intuition verlassen.

Die Wechselzone erreichte er nach rund 6 Stunden und einem knappen Rückstand von einer halben Minute auf den 2. Platz. Markus meisterte den Wechsel sehr unaufgeregt und nahm sich die Zeit um trockene Kleider anzuziehen, bevor er sich wieder in den Regen auf die 42 Laufkilometer stürzte.

Er hielt souverän an dem geplanten Pacing fest und konnte einen Kilometerschnitt von ca. 5:45 Minuten anschlagen. Rasch wurde jedoch klar, dass nach vorne der Zug abgefahren war und die beiden Führenden nicht den Anschein machten, als ob sie noch einbrechen würden.

Auf das eigene Körpergefühl zu vertrauen war in Cork der wohl ausschlaggebende Erfolgsfaktor.

Somit war klar, dass es nun darum gehen würde den 3. Platz zu verteidigen. Da von hinten nun aber zwei deutsche Athleten heranrauschten und bei Markus der Kilometerschnitt etwas zusammenbrach, hatten wir vor dem Liveticker einige bange Momente zu bestehen. Er rettete schliesslich genau 111 Sekunden ins Ziel und konnte sich damit über sein erstes Ironman-Podium freuen.


Frage an Markus: Was ist deine Einschätzung zum Rennverlauf?

Ein sehr spezielles Rennen! Rückblickend alles richtig gemacht… 😉

Zur grossen Herausforderung wurde das widrige Wetter. Während des gesamten Wettkampfes regnete es meist stark bei heftigem Wind und 10-12 Grad. Das Schwimmen musste wegen hohen Wellen und Windböen abgesagt werden. Nicht unbedingt zu meinem Vorteil, bin ich doch ein guter Schwimmer. Aus dem Triathlon wurde ein Duathlon. Trotz der schwierigen Umständen fokussierte ich mich auf die Umsetzung meines Rennplans. Wichtig war, das Beste aus der Situation zu machen und jederzeit bereit zu sein, die Renntaktik den Ereignissen anzupassen. Nach dem Velosplit war schnell klar, dass gegen vorne kaum mehr etwas zu machen ist. So konzentrierte ich mich beim Marathon nicht zu überpacen um den 3. Rang bis ins Ziel zu halten. Das Erfolgsrezept an diesem Rennen war; mentale Stärke, Fokussierung und die richtigen Entscheide treffen.


Und schliesslich doch noch Hawaii

Die Überraschung erreichte uns dann 24 Stunden später per WhatsApp: der zweitplatzierte Kanadier verzichtete auf seinen WM- Startplatz womit Markus nachrückte und sich hochverdient das Ticket nach Kona sicherte.

Das verdiente hawaiianische Bier als Vorgeschmack auf Kona…

Wir sind stolz einen Ironman-Qualifikanten zu betreuen und gratulieren Markus ganz herzlich zu diesem genialen Erfolg. Es liegen mehrere tausend, sogar zehntausende Trainingskilometer auf dem Rad, zu Fuss und im Wasser hinter ihm, welche er durchgezogen hat.

Super umgesetzt Markus! Wir mögen dir den Erfolg sowas von gönnen!


Frage an Markus: Was ist deine Zielsetzung für die Langdistanz-WM in Hawaii?

Finishen, das Rennen geniessen und wenn möglich ein Top 20 Platz erreichen.